Ferien vom Ich
Selten ging er schneller als vierzig Schritt pro Minute. In der Minute, in der er auf Caporciao landete, fiel der Alltag von ihm ab. Für das Wegschaffen desselben bekam er später eine Rechnung von der Fluglinie, welche diese Arbeit in einem Protokoll als rechte Schmutzarbeit beschrieb, die die nachträglich geforderte Zahlung mehr als rechtfertige. Im Zuge einer außergerichtlichen Einigung nahm er den Alltag in leicht lädierter Form zurück und bekam zur allgemeinen Erbauung noch genug "miles" geschenkt, den Urlaub für ein Drittel des eigentlichen Preises wiederholen zu können. Die "miles" seien aber nicht übertragbar.
Kräftig biss er in den traditionellen Willkommensgruß, eine Wassermelone. Die an sich schwere Frucht wurde ihm zum Symbol der "Leichtigkeit des Seins"; er schaute auf die palmenbesetzte Chaussee, welche vom Flughafen in die wunderschöne Altstadt führte und dachte an die Sagosuppe seiner Kindheit, die mal mit Kirschen, mal mit Äpfeln, mal mit Bickbeeren, mal mit Holunderbeeren zubereitet wurde. Wäre er ein Einheimischer, so dachte er, hätten seine Gedanken den Adel des Exotischen; so war es nur die "kalte Heimat", die sich meldete. Er stieg in eine bereit gehaltene Fahrrad-Rikscha, welche zur Erleichterung des Fahrers von einem Maultier gezogen wurde. Der Kunde konnte allerdings nicht umhin festzustellen, dass die Fahrradkette gerissen und notdürftig um die Gabelzinke des einen Hinterrades gewickelt war, was aber keinen die Reisekosten mindernden Mangel erzeugte. Überhaupt machte er sich über die Reisekosten keine Gedanken. Das war doch das Schöne an den Pauschalreisen: das Geldausgeben lag hinter einem und jetzt galt es nur noch zu genießen! Er genoss also die sehr langsame Fahrt in die wunderschöne Altstadt, wobei er wie nebenbei in dem Maultier einen Kameraden erkannte, der auch nicht schneller als vierzig Schritt pro Minute ging. Wäre er nicht durch den Gesang einer Volksweise, die der Fahrer mit sympathisch rauchiger Stimme vortrug, in Ferienlaune versetzt worden, hätte er wohl noch kurz die alte Heimatweise "Ich hatt einen Kameraden" hinter die Stirn geschrieben. Er selbst war inzwischen Vollwaise, aber nur ein Rapprapprapper wäre auf die Idee gekommen, ihn als voll weise zu bezeichnen.
Nachdem der Fahrer den Refrain zum dritten Mal wiederholt hatte, beugte der Feriengast sich vor und sagte, ich heiße Heinzi; er sprach Landessprache in einer Intonation, für die der schriftlichen Wiedergabe die Zeichen fehlen. Der Kutscher, den als solchen anzusprechen, das Maultier berechtigte, auch wenn er sich selbst eher als Fahrer verstand, war ohnehin ein Emigrant oder Immigrant, je nach Standpunkt und erwiderte, Heinsi, ahh, Heinsi, während er mit der linken Hand, da er in der rechten eine neunschwänzige Katze aus Nilpferdleder hielt, eine Geste des Anstoßens ausführte. Das Maultier wieherte verhalten.
Danach gab es eine bunte Folge von Siestas und Fiestas, sodass er von der Schläfrigkeit in die Glückseligkeit und zurück taumelte. Sein Ich hat er nicht wiedergesehen.
(2012)